Montag, 10. Februar 2014

Blau ist eine warme Farbe

Warum erwähnte die Presse vor allem die Intimszenen, die einen Teil eines sehr glaubwürdigen Ganzen in diesem Film ausmachen?
Sie bergen die erste anarchische Antwort auf Adèles Suche nach ihrer eigenen Existenz. Diese ungewöhnliche junge Frau lässt sich nicht so einfach in ein Gesellschaftssystem eingliedern, sie folgt ihren Gefühlen, die sie von der Norm wegführen.

Adèle (fantastische Adèle Exarchopoulos) wächst in einem kleinbürgerlichen Milieu auf und merkt ziemlich schnell, dass sie weder sich selbst noch anderen etwas vortäuschen kann. Sie sucht und findet ihre Bestimmung in einer unkonventionellen Liebe, die sie nicht zur Schau stellen muss. In den Künstlerkreisen ihrer Lebensgefährtin Emma (Léa Seydoux) gehört die lesbische Beziehung zum guten Ton, in Adèles Umgebung (sie arbeitet in einem Kindergarten) würde sie auf Unverständnis stossen. Mit der Zeit entpuppt sich gerade Emma's Sehnsucht nach beruflicher und gesellschaftlicher Anerkennung als zunehmend spiessig, während Adèle ihrer inneren Bestimmung zu folgen versucht und die in Wirklichkeit Unkonventionelle ist.

Wird erfüllte Sexualität auch davon bestimmt, wie untreu man seinem eigenen Umfeld gegenüber wird?  
Adèle und Emma begegnen einander und entdecken gegenseitig ihr vorhandenes, aber noch nicht geformtes Potenzial. Zusammen lassen sie sich auf eine leidenschaftliche Reise ein, die sie nicht gemeinsam weiterführen werden. Um sich selbst zu realisieren wird Adèle die noch fehlenden Puzzleteile und liegen gebliebenen Scherben alleine weiter suchen - und wegräumen müssen. So bitter die Rechnung dafür ist, wünscht man ihr, dass sie aus dieser prägenden Erfahrung die Kraft für ein erfülltes Leben findet. Man sähe sie in New York: Der Stadt mit der Energie und den Möglichkeiten, die eigenen Vorstellungen (wenn man die Mittel dafür hat) zu realisieren - ungeachtet dessen, was andere davon halten mögen. Also das Gegenteil der französischen Provinz, vielleicht. Aber Adèle scheint New York in sich selbst zu tragen. Vielleicht weiss sie es nur noch nicht.

Drei Stunden darf man dieser éducation sentimentale folgen. Ein aufwühlender Film über die Liebe, der nicht unberührt lässt. Ein sehr mutiger Regisseur, der sich Zeit nimmt, den nicht berechenbaren Bahnen eines Lebens zu folgen. Ariela Sarbacher

La vie d'Adèle
Regie: Abdellatif Kechiche
Kino Movie 2 & Riff Raff

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